Meldungen aus dem Landesverband Berlin
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Biographien zum Kriegsende vor 80 Jahren

Anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung vom Nationalsozialismus und des Endes des Zweiten Weltkrieges in Berlin und in Europa haben wir für jeden Tag exemplarisch Auszüge aus Biografien ausgewählt.

Berlin, zerstörtes Reichstagsgebäude Bundesarchiv

 

Es handelt sich um Biografien von Menschen, die bei Kriegsende und kurz danach in Berlin ums Leben kamen und auf einem der 170 Begräbnisplätzen für Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in Berlin und auf Berliner Friedhöfen im Umland dauerhaft bestattet sind.

Zuständig für die Opfergräber in Berlin ist die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt. Karte und Bestandsübersicht der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft - Berlin.de

Natürlich können wir nicht alle Namen und Geschichten nennen. Von vielen, die in der Schlacht um Berlin starben, haben wir nicht mehr als die Informationen, die wir aus den Gräberlisten oder den Urkunden der Standes- und Kirchenämter entnehmen können. Tagebücher, Briefe und Fotografien sind äußerst selten und daher ein wahrer Schatz für uns, insbesondere für unsere Bildungsarbeit.

Sind Sie selbst Zeitzeuge oder im Besitz von Nachlässen, Dokumenten und Erinnerungsstücken? Dann helfen Sie uns und lassen Sie uns gemeinsam die Spuren der Kriegstoten und die Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkrieges bewahren und sichtbar machen. Jeder Grabstein, jeder Name erzählt eine Geschichte. Schicksale, die gehört werden müssen, um nicht in Vergessenheit zu geraten.

Es ist erschreckend, wie viele Menschen gerade in Berlin noch in den letzten Kriegstagen starben, allein unter der Zivilbevölkerung geht man von über 10.000 Toten aus. Am 21. April marschierten die ersten Truppen der Roten Armee im Norden bei Schwanebeck ein. Im Süden marschierten die Truppen am 24. April von Teltow aus in Zehlendorf ein. Am 25. April war der Ring um Berlin endgültig geschlossen. Von Stunde zu Stunde rückte die Rote Armee weiter vor und eroberte eine Straße nach der anderen, bis Berlin am 2. Mai kapitulierte.

Die folgenden Lebensgeschichten nahmen oft ein ähnliches Ende. Viele begingen aus unterschiedlichen Gründen Suizid, andere kamen durch Beschuss oder im Gefecht ums Leben. Jung und Alt wurden kurz vor Kriegsende als „letztes Aufgebot“ in den so genannten „Volkssturm“ eingezogen. Auch Widerstandskämpfer oder politische Gegner des NS-Regimes, die sich bis dahin in nationalsozialistischer Gefangenschaft befunden hatten, wurden nur wenige Tage vor Kriegsende ohne Gerichtsurteil erschossen.

Die Erinnerung an diese dunkle Zeit ist eine Verpflichtung, aus der Vergangenheit zu lernen. Sie erinnert uns daran, wie wichtig Demokratie, Frieden, Toleranz und Menschlichkeit sind. 

Biographien

Friedhof Reinickendorf I, Berlin

Grablage B – 15 - 9

Nikolai Pawelenko

*13. Januar 1920 †21. April 1945, Wittenau

Nikolai Pawelenko war Zwangsarbeiter. Seine letzte Wohnanschrift war das Gemeinschaftslager der Lorenz AG in der Colditzstraße 38 in Tempelhof. Die Lorenz AG war ein deutscher Hersteller von Elektrotechnik und beschäftigte in den Kriegsjahren vermutlich über 3.000 Zwangsarbeiter, darunter auch Kinder im Alter von 14 Jahren und jünger.

In der Colditzstraße unterhielten mehrere Firmen Zwangsarbeiterlager.

Nikolai Pawelenko war erst 25 Jahre alt, als er am 21. April 1945 starb. Sein Geburtsort, Informationen über seine Eltern und sein Familienstand sind unbekannt.

Er starb am 21. April 1945 um 19.50 Uhr in den Wittenauer Heilstätten. Als Todesursache wird in der Sterbeurkunde „Spaltungsirresein und Herzmuskelentartung“ angegeben.

Von 1939 bis 1945 durchliefen etwa 15.000 Patientinnen und Patienten die Wittenauer Heilstätten, ein Drittel wurde in Tötungs- und Zwischenanstalten verlegt, über 3.000 starben dort. Von denen, die in Wittenau verblieben, also nicht verlegt wurden, starben zwischen 1939 und 1945 4.607. Besonders hoch war die Sterblichkeit unter den jüdischen Patientinnen und Patienten. Ebenso starben überdurchschnittlich viele Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Hinweise auf gezielte Krankenmorde in den Wittenauer Heilstätten lassen sich nur durch die Interpretation der Krankenakten und der hohen Sterberate finden, wobei Hungerrationen und Medikamentengifte die häufigsten Todesursachen waren.

1995 wurden seine sterblichen Überreste vom Alten Anstaltsfriedhof der Wittenauer Heilstätten auf den Friedhof am Freiheitsweg umgebettet.

Auf dem Friedhof Reinickendorf I ruhen über 2.420 Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.

Evangelischer Friedhof Friedrichshagen, Berlin

Grablage P – 1- 8 und P – 1 – 9 

Familie Schössow

†22. April 1945, 17.30 Uhr, Friedrichshage

Die für die Nachforschungen herangezogenen Quellen umfassen Gräberlisten, Standesämter mit Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden sowie Kirchenbücher. Dies ist oftmals das Erste und Einzige, was über einen Menschen auf einer Stätte für Opfer von Krieg und Gewalt in Erfahrung gebracht werden kann.

So wissen wir über die Familie Schössow nur:

Alle kamen am 22. April 1945 um 17.30 Uhr bei einem Luftangriff in der Löcknitzstraße 7 in Friedrichshagen ums Leben. Zwei Wochen später kapitulierte Berlin.

Der 8-jährige Friedrich August Franz, *18. August 1936.

Die 3-jährige Hannelore Gisela, *8. September 1941.

Die 5-jährige Margrit Monika Hedwig, *15. Oktober 1939. Sie hatte einen Zwillingsbruder, der wenige Wochen nach der Geburt starb.

Die 30-jährige Mutter Elisabeth Berta, geborene Benke, *6. Juni 1914.

Im Zweiten Weltkrieg wurden nicht nur deutsche Städte bombardiert. Der Luftkrieg, das heißt der Einsatz von Fliegerverbänden und Flugabwehr, war im Zweiten Weltkrieg von großer Bedeutung. Die Bombardierung von Städten wurde von den Kriegsparteien beider Seiten als Kampfmittel gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt, um deren Widerstandskraft zu schwächen und sie zu entmutigen. 

Die ersten Angriffe flog 1939/1940 die deutsche Luftwaffe auf die Städte Warschau und Rotterdam. Ab Mai 1940 flogen Einheiten der britischen Royal Air Force (RAF) die ersten Angriffe auf deutsche Städte.

Der erste Luftangriff auf Berlin war am 8. Juni 1940. Insgesamt gab es 310 Luftangriffe auf Berlin. Es gibt unterschiedliche Angaben zur Zahl der Opfer. Von den 1.562.641 Wohnungen wurden über 500.000 zerstört, etwa 100.000 schwer und 380.000 leicht beschädigt; nur 370.000 blieben unbeschädigt.

Berechnungen zufolge waren in Köpenick von 12.500 Häusern etwa 3.500 durch Luftangriffe und Bodenkämpfe zerstört, andere nur noch teilweise bewohnbar. Bei Kriegsende lebten in Köpenick 104.624 Menschen (fast 17.000 weniger als bei Kriegsbeginn). 

Am späten Nachmittag des 22. April wurden die Vororte Dahlwitz, Schöneiche, Fichtenau, Rahnsdorf, Friedrichshagen und Wendenschloß eingenommen. In der Nacht erreichten die Truppen der Roten Armee Grünau und Falkenberg. 

Auf diesem Friedhof ruhen 35 Tote, die im Zeitraum vom 21. bis 24. April 1945 ums Leben kamen. Sie starben bei Flieger- oder Bombenangriffen. 

Am 21. April 1945 stellten die Briten und Amerikaner ihre Luftangriffe auf Berlin ein, um der Rote Armee, unterstützt durch eigene taktische Bombenangriffe und Artilleriebeschuss, die Möglichkeit zu geben, ihre Bodenoffensive auf die Stadt zu beginnen.

Der Zeitzeuge Lutz Rackow aus Friedrichshagen berichtet vom 22. April 1945: „(…) Bis sich plötzlich Fluglärm näherte. Eilig waren alle Rotarmisten in den Häusern verschwunden. Wir waren draußen geblieben. Die Maschine trug das Balkenkreuz. Das waren ja „Unsere“. Wir hatten noch nicht begriffen, bereits „auf der anderen Seite der Front“ zu sein. Irgendwo krachende Einschläge. (…)“

Bisher haben wir keine weiteren validen Quellen gefunden, die dies bestätigen. Viele Berliner und Berlinerinnen kamen ab dem 21. April durch Angriffe sowjetischer Flieger oder durch Artillerie ums Leben.

Friedhof Wilsnacker Straße, Berlin-Moabit

Sammelgrab Nr. 15/ XII

Albrecht Haushofer

*07. Januar 1903        †23. April 1945

Albrecht Haushofer hat ein Ehrengrab auf dem kleinen Friedhof in der Wilsnaker Straße. Sein Leben stand im Zeichen von Kollaboration mit und Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime. 

Auf dem am 23. April 1945 schnell eingerichteten Notfriedhof in der Wilsnacker Straße haben 330 Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft ihre letzte Ruhestätte. Hier ruhen Menschen, Kinder, Frauen und Männer aller Alters- und Opfergruppen, die im April/Mai 1945, in den letzten Kriegstagen und kurz danach in Moabit ums Leben kamen.

Albrecht Haushofer wurde 1903 in München als Sohn des Offiziers und Professors für Geopolitik Karl Haushofer und seiner Frau Martha geboren. Schon als Schüler interessierte sich Albrecht Haushofer für Politik und war Mitglied der Deutschen Volkspartei (DVP). Später studierte er Geschichte und Geografie. 

Aufgrund seines jüdischen Großvaters mütterlicherseits hätte Albrecht Haushofer in der Zeit des Nationalsozialismus diskriminiert werden müssen. Seine Familie wurde jedoch nicht verfolgt, da sein Vater mit Rudolf Heß befreundet war.

Albrecht Haushofer lehrte Geopolitik an der Hochschule für Politik in Berlin und später als Professor an der Universität Berlin.

Neben seiner Tätigkeit an der Universität war Haushofer ab 1934 Berater der Dienststelle Ribbentrop. In dieser Funktion unternahm er mehrere geheime politische Missionen nach Großbritannien, Südosteuropa und Japan.

Im Verlauf des Krieges, ab 1941, distanzierte sich Haushofer immer mehr vom nationalsozialistischen Regime und nahm Kontakt zum Widerstand auf. So hatte er Kontakt zu der Gruppe um Claus Schenk von Stauffenberg, zum Kreisauer Kreis und zu Mitgliedern der Roten Kapelle. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 musste Albrecht Haushofer untertauchen. Die Gestapo fahndete nach ihm als „Staatsfeind“.

Anfang Dezember 1944 wurde er aufgespürt und in der „Sonderabteilung“ der Gestapo im Zellengefängnis Moabit in Berlin inhaftiert.

Er und 15 weitere Häftlinge des Zellengefängnisses, darunter auch Klaus Bonhoeffer und Rüdiger Schleicher, wurden beim Herannahen der Roten Armee als „besonders todeswürdig“ eingestuft und nicht freigelassen, sondern erschossen. In der Nacht vom 22. auf den 23. April 1945 holte man den 42-Jährigen aus seiner Zelle und führte ihn hinaus, angeblich um ihn zu „verlegen“. Auf einem Trümmergrundstück unweit des heutigen Hauptbahnhofs wurde er zusammen mit seinen Mitgefangenen erschossen. 

 

Während seiner Haft schrieb Albrecht Haushofer 80 Gedichte. Hier ein Auszug aus seiner Moabiter Sonette „Dem Ende zu“:

„Was half es, dass der wägende Verstand

Die Rechnung führte bis zum letzten Schluss.

Der Wahn begreift nur, was er fühlen muss!

 

Der Wahn allein war Herr in diesem Land.

In Leichenfeldern schliesst sein stolzer Lauf,

Und Elend, unermessbar, steigt herauf.“

Quellen: 
Hildebrandt, Bernd; Haiger, Ernst: Kriegsende in Tiergarten. Die Geschichte des Kriegsgräberfriedhofs Wilsnacker Straße. Berlin 2009, S. 229ff.

Friedhof Lilienthalstraße, Berlin-Neukölln

Sammelgrab 2M Reihe 4

Johanna Zimmer 

*24. Februar 1917 †24. April 1945

Was macht einen Menschen aus? Was ist der Menschen im Krieg, in der Diktatur? Was bleibt von ihm übrig? Was wissen wir von der Person? Den Namen? Lebensdaten? Von vielen Toten noch nicht einmal das.

Was erzählen uns die Kissensteine, was die Namenstafeln? Was verschweigen sie uns, was können wir gar nicht sehen, über die Menschen, die hier vor 80 Jahren gelebt haben?

Auch die 28-jährige Näherin Johanna Zimmer aus Berlin gehört zu den vielen Kriegstoten, über die wir nur das sagen können, was uns ihre Sterbeurkunde verrät. Sie starb am 24. April gegen 17 Uhr in der Dresdner Straße 19: „in der Wohnung durch Kriegsschaden gefallen“. Sie war nicht verheiratet.

Johanna Zimmer hat ihre letzte Ruhestätte auf dem Friedhof Lilienthalstraße in Neukölln. Hier ruhen 6.202 Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Über 3.500 Tote auf diesem Friedhof kamen allein April/ Mai 45 ums Leben. 

Am 23. April begann der Angriff auf Neukölln von Süden her. Die Überwindung des heftig verteidigten Landwehrkanals dauerte mehrere Tage. Drei Tage später waren der Hermannplatz und die Hasenheide eingenommen.

Waldfriedhof Zehlendorf, Berlin

Grablage III-R-581

Dr. Paul Schellhas

*16. November 1859 †25. April 1945, Dahlem

Der deutsche Jurist und Maya-Forscher Paul Schellhas wurde 1859 in Berlin als Sohn des Kaufmanns Julius Schellhas geboren. Nach dem Studium der Rechts- und Verwaltungswissenschaften in Berlin promovierte er 1884 in Jena. Er war zunächst als Rechtsanwalt tätig und wurde um 1900 Richter am Amtsgericht Charlottenburg, wo er bis zu seiner Pensionierung zum Landgerichtsrat aufstieg.

Neben seiner juristischen Tätigkeit beschäftigte sich Paul Schellhas zunächst mit der ägyptischen Hieroglyphenschrift. Seine ganze Energie sollte aber später der Entzifferung der Maya-Schrift gelten. Dabei identifizierte er über 30 Maya-Götter. Mit seinen Forschungen legte er den Grundstein für die Entschlüsselung der Maya-Sprache und machte sich international einen Namen.

Am 25. April 1945 wurde Paul Schellhas bei Kämpfen während des Vormarsches der Roten Armee durch Schüsse getötet.[1]

Im Süden marschierten in den Morgenstunden des 24. April Truppen der Roten Armee von Teltow kommend in Zehlendorf ein, besetzten am 25. April Nikolassee und Schlachtensee und am 27. April den Ortsteil Dahlem. Kleinmachnow war bereits am Abend des 24. April zu etwa 80% befreit. Bis zum 1. Mai gab es jedoch noch letzte Gefechte. In Wannsee wurde bis zur Kapitulation Berlins am 2. Mai gekämpft. Versprengte deutsche Truppen leisteten bis zuletzt Widerstand, was viele kurz vor Kriegsende das Leben kostete.

Auf dem Waldfriedhof Zehlendorf ruhen insgesamt 2.132 Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.


[1] https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/00141844.1946.9980658?journalCode=retn20 letzter Zugriff 23.07.2020.

Waldfriedhof Zehlendorf, Berlin

Grablage III-R-727

Dr. med. Käthe Herbst

*22. August 1889, Cerro Concepción (Valparaíso), Chile †26. April 1945, Nikolassee, Berlin

Die Kinderärztin Käthe Herbst wurde 1889 als Tochter eines Kaufmanns in Valparaíso, Chile, geboren. Schon früh zog ihre Familie nach Norddeutschland. Dort besuchte sie zunächst die höhere Töchterschule in Lübeck und Hamburg und anschließend das Real-Gymnasium für Mädchen von der 9. bis zur 13. Nach dem Studium in Heidelberg und München und praktischer Tätigkeit in Lazaretten während des Ersten Weltkrieges legte sie 1915 das medizinische Staatsexamen ab.

Von 1915 bis 1919 arbeitete Käthe Herbst als Assistenzärztin in einem Waisenhaus in Berlin, wo sie Stoffwechselversuche an kriegswirtschaftlich unterernährten Kindern durchführte. 1919 wurde sie approbierte Kinderärztin. Bis zu ihrem Tod arbeitete sie im Waisenhaus. 

Daneben war sie ab 1926 mit Unterbrechungen als niedergelassene Ärztin tätig. In den 1930er Jahren trat sie der NS-Frauenschaft bei. Ab 1935 gab sie Säuglingspflegekurse für neue Schwestern im Säuglingsheim. [1]

Am 26. April 1945 starb Käthe Herbst, an ihrer Seite ruht ihre Tochter Karin. Karin wurde am 29. April 1930 in Königsberg geboren. Es ist anzunehmen, dass Karin von Käthe Herbst adoptiert wurde, da in den Gräberunterlagen ihr Adoptivsohn Peter Herbst als letzter Kontakt angegeben ist und in Karins Sterbeurkunde keine Angaben zu ihren Eltern gemacht werden. Käthe Herbst war nicht verheiratet.

Die Todesursache von Käthe und Karin Herbst geht aus der Gräberliste nicht hervor. In einem Zeitzeugenbericht steht: “Es heißt, Frau Dr. Herbst habe sich vergiftet”.[2] Die Sterbeurkunden bestätigen die Todesursache.

Niemand weiß, wie viele Berlinerinnen und Berliner in den letzten April- und ersten Maitagen 1945 Suizid begingen. Mehr als 7.000 sollen es in der heftig umkämpften Reichshauptstadt gewesen sein

Im Süden marschierten in den Morgenstunden des 24. April Truppen der Roten Armee von Teltow kommend in Zehlendorf ein, besetzten am 25. April Nikolassee und Schlachtensee und am 27. April den Ortsteil Dahlem. Kleinmachnow war bereits am Abend des 24. April zu etwa 80% befreit. Bis zum 1. Mai gab es jedoch noch letzte Gefechte. In Wannsee wurde bis zur Kapitulation Berlins am 2. Mai gekämpft. Versprengte deutsche Truppen leisteten bis zuletzt Widerstand, was viele kurz vor Kriegsende das Leben kostete.

Auf dem Waldfriedhof Zehlendorf ruhen insgesamt 2.132 Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft


[1] https://geschichte.charite.de/aeik/biografie.php?ID=AEIK00436, letzter Zugriff 28.03.2025.

[2] https://schlachtenseesite.files.wordpress.com/2020/04/zeitzeugenbericht-heinrich-walter-simon.pdf, letzter Zugriff 28.03.2025.

eEvangelischer Luisenfriedhof III, Berlin-Westend

Grablage Feld K1

August Thielke

*5. Mai 1871 +27. April 1945

Der Rentner und Witwer August Thielke starb acht Tage vor seinem 74. Geburtstag am 27. April 1945 gegen 5 Uhr morgens. Er wurde in der Kantstraße 63 in Charlottenburg durch Feindeinwirkung erschossen.

Er gehört zu den drei Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft, die auf dem Luisenfriedhof III der Opfergruppe 6 zugeordnet sind. Nach dem Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (GräberGesetz) haben Kriegstote ein dauerndes Ruherecht. Das Gesetz definiert in zehn Opfergruppen, wer als Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gilt. So steht die Opfergruppe sechs für die Vertriebenen und Flüchtlinge: Gräber von Vertriebenen nach § 1 des Bundesvertriebenengesetzes, die in der Zeit vom 1. September 1939 während der Umsiedlung bis zum 8. Mai 1945 oder während der Vertreibung oder Flucht bis zum 31. März 1952 gestorben sind. Das Gräbergesetz wurde seit 1952 immer wieder aktualisiert und bis heute ergänzt. Erst seit der Wiedervereinigung gilt das Gesetz auch in den neuen Bundesländern.

August Thielke war aus dem kleinen Ort Honigberg, Kreis Insterburg, heute Wischnjowoje, Oblast Kaliningrad, geflohen. Am 21. Januar erreichten Truppen der Roten Armee den Kreis Insterburg. Bereits im Juni 1944 hörte man Kanonendonner aus dem Raum Kaunas.

Wann und wie August Thielke nach Berlin kam, lässt sich nicht mehr feststellen.

Auf dem Luisenkirchhof ruhen über 800 Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.

Friedhof In den Kisseln, Berlin-Spandau

Magdalena van der Westen  Feld 105, Reihe 4, Grab 33 *01.06.1923, Haarlem †28.04.1945, Spandau

Cora van der Westen Feld 125, Position unbekannt 

*29.08.1944, Spandau †15.01.1945, Spandau

Magdalena, geborene Bostiaanse, wurde in den Niederlanden geboren. 1943 heiratete sie dort Petrus van der Westen. Bereits schwanger, wurden Magdalena und ihr Mann als Zwangsarbeiter nach Berlin verschleppt. Die Niederlande standen seit Mai 1940 unter deutscher Besatzung.

Am 29.08.1944 brachte Magdalena ihre Tochter Cora zur Welt. Die Familie lebte im „Ausländerlager“ in Berlin-Staaken, Spandauer Straße 106–110. Dort waren ungefähr 1.200 Menschen aus den Niederlanden untergebracht.

Cora van der Westen starb am 15. Januar 1945. Sie war nur vier Monate alt. Sie starb im Lager von Siemens & Halske in der Pionierstraße 61-65. Das Lager war fast gegenüber dem Friedhof In den Kisseln. 

Als Todesursache wird „Erstickungstod“ angegeben. Es ist wahrscheinlich, dass die schlechte Lebensmittel- und medizinische Versorgung zum frühen Tod führte.

Magdalena starb zehn Tage vor Kriegsende im Alter von 21 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung. Magdalenas Ehemann überlebte und kehrte in die Niederlande zurück.

Die ins Deutsche Reich verschleppten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mussten in Berlin auf dem Bau, bei der Eisenbahn, in privaten Haushalten, bei der Trümmerbeseitigung, im Handwerk, vor allem aber in der Rüstungsindustrie, in den Großbetrieben der Maschinenbau- und Elektroindustrie wie Siemens oder AEG und IG Metall arbeiten.

Berlin war nicht nur die Hauptstadt des NS-Staates, sondern auch seine wichtigste Rüstungsschmiede. 1943 wurden jeder zehnte Flugzeugmotor, jeder vierte Panzer und fast die Hälfte aller Geschütze in Berlin hergestellt. Anfang Januar 1945 lebten etwa 700.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Berlin, jede vierte war eine Frau. Sie lebten in fast 3.000 Lagern und Unterkünften, die über die ganze Stadt verteilt waren. Anders als viele der Konzentrations- und Vernichtungslager lagen die Zwangsarbeiterbaracken und Wohnungen direkt vor den Fenstern und Türen der Berliner Bevölkerung. Auf den täglichen Wegen durch die Stadt waren sie ebenso unübersehbar wie auf den Feldern und in den Fabriken. 

Zum Ende des Krieges wurde die Versorgung der Großstadt immer schlechter, die schon vorher schlechte Versorgung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter blieb stellenweise ganz aus. Bei Bombardierungen wurde den ihnen verboten, Schutz in Bunkern zu suchen. Sie waren den Angriffen schutzlos ausgeliefert. 

Nach dem Krieg galten die Kinder von Zwangsarbeiterinnen zunächst nicht als Opfer nach dem deutschen Gräbergesetz für Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft von 1952. Erst in den 1970er Jahren wurden auch die Kinder als Kriegsopfer anerkannt. Cora wurde ohne dauerndes Ruherecht beigesetzt und das Grab nach 20 Jahren überbettet. Heute ist die genaue Lage nicht mehr feststellbar und eine Zusammenführung von Mutter und Tochter nicht möglich. 

Auf dem Friedhof In den Kisseln ruhen in 16 Abteilungen über 7.800 Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. 

 

Quellen: Gräberliste der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, eingesehen im Mai 2018. 

Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit

Friedhof Columbiadamm, Berlin-Neukölln

Grablage K6 – 236 und 237

Emilie Hermine und Otto Wilhelm Albrecht 

*14.12.1902 und *12.03.1882 

Das Ehepaar Emilie und Otto Albrecht kamen beide am 29. April 1945 ums Leben. Sie hatten am 19. Januar 1925 in Berlin geheiratet und wohnten in der Gneisenaustraße 1 in Kreuzberg. Für den Friseurmeister Otto Albrecht war es die zweite Ehe. Sie hatten keine Kinder.

Die letzten Kriegstage in Berlin verbrachten sie bei dem befreundeten Ehepaar Szesny in der Fidicinstraße 24 in Kreuzberg. Dort begingen Emilie und Otto Albrecht und Martha Szesny, geborene Biesel, um 2:30 Uhr mittels Gift Suizid. Marthas Ehemann Otto Szesny, ebenfalls Friseurmeister, erhängte sich in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai in seiner Wohnung in der Fidicinstraße. Warum war Otto Szesny am 29. April nicht in der Wohnung? War er zum Volkssturm eingezogen worden? Erfuhr er erst bei seiner Rückkehr von den Nachbarn vom Suizid seiner Frau, nachdem er die Schlacht um Berlin überlebt hatte? Wie so oft wissen wir es leider nicht und können nur Vermutungen anstellen.

Das Ehepaar Szesny ruht ebenfalls auf dem Friedhof Columbiadamm und hat ein gemeinsames Grab in der Abteilung K 8.

Das Schicksal des Ehepaars Albrecht ist ein Schicksal, das viele Berlinerinnen und Berliner in den letzten Kriegstagen teilten.

Die Gründe für einen Suizid in den letzten Kriegstagen waren vielfältig. Viele hatten berechtigte Angst vor der Sowjetarmee. Diese Angst wurde durch die nationalsozialistische Propaganda und die Berichte über die Verbrechen der Deutschen an der Ostfront zusätzlich geschürt. Es gab Einzelne und ganze Familien, die sich ein Leben nach dem Nationalsozialismus nicht vorstellen konnten oder wollten und den Tod als einzigen Ausweg sahen.

Die Biografie der Albrechts dient uns als Beispiel für die Informationen aus den Standes- und Kirchenämtern, die oftmals einzig von Verstorbenen in den letzten Kriegstagen zurückbleiben. Was wir hier erzählen können, ist meist das Erste und Einzige, was wir über einen Menschen auf einer Kriegsgräberstätte in Erfahrung bringen können. 

Aber die Dokumente können uns weitere Informationen liefern. Dann wird es detektivisch und es entsteht immer mehr eine Geschichte, ein Bild im Kopf, ein Gesicht zu den Menschen.

Im Prinzip erzählen wir die Geschichten der Menschen rückwärts, gerade in Zeiten von Krieg und Gewaltherrschaft, in der wohl dunkelsten Zeit ihres Lebens.

Wer die Menschen waren, wie ihr Alltag aussah, kann man nur erahnen. Bilder, Fotos, Briefe, Tagebücher zu haben, ist ein Schatz.

Angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit der Kriegstoten, unabhängig von Herkunft, Alter und Biographie, unsichtbar bleibt, ist es uns ein Anliegen, gerade diejenigen zu benennen, über die nicht berichtet wird.

Kaum irgendwo in Berlin finden wir eine so dichte Folge von Zeugnissen der Vergangenheit wie auf dem Friedhof Columbiadamm oder dem Neuen Garnisonfriedhof. Auf diesem Friedhof finden sich zahlreiche Spuren, Gräber, Gedenksteine und Stelen europäischer, deutscher und Berliner Geschichte: von den Befreiungskriegen gegen Napoleon 1814/1815 über den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, den Kolonialismus, den Ersten Weltkrieg, die politischen Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik, den Nationalsozialismus, die Nachkriegszeit bis in die Gegenwart.

Auf dem Friedhof Columbiadamm befindet sich mit 6.949 Toten die größte Kriegsgräberstätte des Ersten Weltkrieges in Berlin. Insgesamt ruhen hier 7.395 Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.

Friedhof Grunewald Forst, Berlin

Sammelgrab 2

Walter Karl Fritz Kasch

*2. April 1904, Sachsenhausen +30. April 1945, Schmargendorf

Im Kampf um Berlin wurde der 41-jährige Gärtner Walter Kasch aus Kaulsdorf zum Volkssturm eingezogen und musste an den schweren Kämpfen um den Grunewald teilnehmen. Er starb am 30. April 1945 im Martin-Luther-Krankenhaus in Schmargendorf an den Folgen eines Bombensplitters am Kopf.

Die jungen und alten Männer im Volkssturm hatten nur einfache Waffe wie Panzerfäuste, Gewehre, Handgranaten, aber auch nur Schaufeln. Der Volkssturm verlor viele Männer und hatte nur wenig Erfolg.

Walter Kaschs Ehefrau Margarete überlebte den Krieg, heiratete erneut und blieb bis zu ihrem Tod 1976 im gemeinsamen Haus in Kaulsdorf.

Auf dem Waldfriedhof Grunewald ruhen 143, davon 43 unbekannte Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Allein 135 starben in den letzten Kriegstagen. 1961 wurden die sterblichen Überreste von Walter Kasch mit 80 weiteren Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft vom Notfriedhof des Martin-Luther-Krankenhauses in ein Sammelgrab auf dem Friedhof Grunewald Forst umgebettet.

Friedhof Reinickendorf I, Berlin  

Minna Kurtz

*7. September 1904 +1. Mai 1945

Die Postassistentin Minna Kurtz starb im Alter von 40 Jahren nur einen Tag vor der Kapitulation Berlins. Sie war unverheiratet und wohnte zuletzt bei ihren Eltern Minna und Paul Kurtz am Oraniendamm 18, Waidmannlust. Es war ihre Mutter, die den Tod ihrer Tochter vor dem Standesamt bezeugte und genaue Angaben darüber machen konnte, dass ihre Tochter am 1. Mai 1945 um 9.30 Uhr in ihrer Wohnung an einer Vergiftung „nach dem Genuss eines flüssigen aromatischen Stoffes von den Diwagwerken“ gestorben war.

Welche Produkte die pharmazeutisch-chemische Diwag Fabriken AG in Berlin-Waidmannslust herstellte, konnten wir nicht genau in Erfahrung bringen.

Ein mit Bleistift ergänzter Zusatz in der Sterbeurkunde von Minna Kurtz „Unglücksfall!“ lässt die Frage offen, ob es sich um einen Suizid handelte oder um ein Versehen, eine Unachtsamkeit beim Trinken der Flüssigkeit, weil sie einen anderen Inhalt vermutete? Wie so oft wissen wir es leider nicht und können nur Vermutungen anstellen.

Auf dem Friedhof Reinickendorf I ruhen über 2.420 Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.

Friedhof In den Kisseln, Berlin-Spandau       

Feld IVb, Reihe 16, Grab 24

Franziskus Joseph Aloisius Lirche

*18.06.1929, Spandau †31.05.1945, Spandau

Über den Dreherlehrling Franz Lirche ist wenig bekannt. Er starb am 31. Mai 1945 im Alter von 15 Jahren an den Folgen einer schweren Granatsplitterverletzung. Sein Bruder Joseph war damals 10 Jahre alt. 

Als Franz Ende April 1945 im Kampf um Berlin verwundet wurde, versteckte sich Joseph mit seiner Mutter Gertrud und drei weiteren Geschwistern in einem Luftschutzkeller vor der anrückenden Roten Armee. Joseph beschreibt die Situation seines Bruders Franz so[1]:

„Franz war als FLAK-Helfer eingezogen worden. Unsere Mutter hat mir erzählt, was sie über Franz erfahren hat. Er liege schwer verwundet in den Kasematten an der Teltower Straße. Meine Schwester Agnes und einige andere zogen mit einem Handwagen und einem Feldbett los, um ihm zu holen. Nach Stunden kamen sie zurück. Franz hatte einen Granatsplitter im Unterleib – er hatte einen Bauch- und Hodenschuss.

Wir wollten ihn nicht in ein Lazarett oder ein normales Krankenhaus bringen, weil wir befürchteten, dass er dort von der Roten Armee gefangen genommen werden könnte. Es dauerte noch ein paar Tage, bis eine Oberschwester aus unserer Gemeinde eine Möglichkeit sah, meinen Bruder heimlich ins Lynar-Krankenhaus[2] einzuschleusen.

Unser Bruder starb am 31. Mai 1945 im Lynar-Krankenhaus an seinen schweren Verletzungen. Er wäre am 18. Juni 16 Jahre alt geworden. Da es keine Särge gab, wurde er in seine Militärdecke gewickelt begraben“. 

Er starb 23 Tage nach dem Ende des Krieges in Europa.

Schicksale wie das von Franz Lirche waren zwischen 1943 und 1945 in Deutschland keine Seltenheit. Nach dem gescheiterten Russlandfeldzug im Winter 1941/1942 fehlte es der Wehrmacht ständig an Soldaten. Immer mehr Soldaten wurden für den Krieg benötigt. Deshalb wurden ab Anfang 1943 Jugendliche zu Hilfsdiensten in der Armee eingezogen. Sobald die Jungen 15 Jahre alt waren, wurden sie als Helfer bei der Abwehr von Luftangriffen oder als Luftraumbeobachter eingesetzt.

Die Jungen schleppten Munition heran und bedienten Scheinwerfer und Flakgeschütze. Das war lebensgefährlich, denn die Flakscheinwerfer waren meist das erste Ziel der feindlichen Bomber. Es wurden auch Mädchen als "Suchscheinwerferführerin" oder als FLAK-Helferin eingesetzt.

Auch im Volkssturm wurden Jugendliche im Kampf um Berlin verheizt. Der Volkssturm war eine behelfsmäßige Kampftruppe aus Zivilisten. Die Ausbildung war schlecht. Die jungen und alten Männer hatten nur einfache Waffe wie Panzerfäuste, Gewehre, Handgranaten, aber auch nur Schaufeln. Der Volkssturm verlor viele Männer und hatte nur wenig Erfolg.

Franz gehörte zu den Jahrgängen, den Jugendlichen, die im Nationalsozialismus aufwuchsen. 70 Prozent ihres Jahrgangs meldeten sich freiwillig zum Dienst an der Waffe.

Heute würde man Franz und alle unter 18-Jährigen, die im Krieg eingesetzt wurden, als „Kindersoldaten“ bezeichnen.
 


[1] sinngemäß zitiert und verkürzt

[2] Heute Vivantes Klinikum Spandau.